Der Spiegel, den die staunende Thonetgemeinde hier sieht, ist noch völlig unbekannt. Er hing viele Jahrzehnte in einer kleinen Konditorei in Heidelberg, wo es einen Tisch und zwei Stühle zum Kuchen essen gab. Über dem Tisch hing dieser Spiegel an der Wand. Immer wenn sie in Heidelberg waren, ging ein Ehepaar dort „konditern“, bis ihnen angekündigt wurde, dass das Cafe demnächst schließen würde. Zum Andenken erwarben die beiden Kuchenliebhaber den Spiegel.

Als die beiden meinen Laden in Berlin kennen lernten, erzählten Sie mir davon, denn sie wussten inzwischen, dass der Spiegel in Thonets Werkstatt in Boppard gemacht worden war. Sie hatten den Spiegel aufarbeiten lassen, wobei hinter der Rückwand die in herzzerreissendem Küchenlatein abgefasste Bestätigung von Franz Thonet gefunden wurde. Wer unter den Thonetexperten hat jemals ein so frühes Möbel mit handschriftlicher Expertise eines späteren Firmeninhabers des Weltkonzerns Thonet gesehen, ja, hätte auch nur vermutet, dass es sowas gäbe. Welch eine Provenienz.

Schon die Existenz eines anderen Bopparder Möbels, als die überlieferten Stühle, Sessel, Sofas und Betten, sowie die ohne Abbildung in der 1896er Festschrif genannten Tambour-Nachtschränke ist staunenswert genug – nun haben wir einen im Bild dokumentierten und datierten Wandspiegel in traditioneller Gliederung und den typischen gerundeten Formen des sehr späten Biedermeiers vor uns, der es erlaubt, z.B. Bett und Sofa im Entwurf auf vor 1836 zu datieren.

Über die innere Konstruktion wurde mir mitgeteilt, dass die Hauptteile der Rahmenkonstruktion aus gewölbt verleimtem Sperrholz bestehen, einer Technik, die auch an den Kopfteilen von Bett und Sofa zu finden ist. Die Detailfotos lassen das glaubwürdig erscheinen.

Wenn ich jemals in die Gegend von Heidelberg komme, werde ich den Spiegel besuchen und an dieser Stelle einen Nachtrag hinzufügen