Die Legende des Fauteuils Nr 9 beruht auf dem ästhetisierenden Lob der Architekten der Zeit zwischen den Weltkriegen. „Weniger ist mehr“ war neben dem Kampf gegen das Ornament schon Dogma geworden. Man vergaß aber in der Euphorie des Formgestalters den Besitzer in des Wortes direkter Bedeutung, denn bequem war der Nr 9 nicht.
Die Entwurfsgeschichte ist ungeklärt. 1904 taucht der 6009 im Hauptkatalog von Thonet erstmals auf. Jedoch schon 1902 zeigte J&J Kohn ein Modell Nr 712 mit der gleichen Linienführung. Eifernde Ehrenretter von Thonet verweisen nun auf das Damenfauteuil, das schon deutlich früher die als wesentlich erachtete Kombination von Arm- und Rückenlehne in einem Bugholzbogen verwendete. Das kann man, muss man aber nicht gelten lassen, wenn es um das Primat an diesem Entwurf geht. Schließlich kann man das Damenfauteuil kaum der puristischen Haltung zuordnen, die den Thonet Nr 9 und zwei Jahre früher den Kohn Nr 712 auszeichnete. Der Besitzer, den ich oben als vergessene Quantité négligeable anführte, wählt ohnehin das Schreibfauteuil Nr 3, wenn er lange am Schreibtisch sitzen will.