Sessel Nr. 1

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, weshalb die Seriennummer 1 magisch ist. Der „Erste“, ein nicht zu übertreffender Superlativ, führt zu einer Wertschätzung, die objektiv designkritisch einer Korrektur bedarf. Sessel Nr. 1 wurde aus Vorläufermodellen weiterentwickelt, die bei der Ausstattung des Liechtenstein´schen Stadtpalais als „leichte Laufstühle“ eingesetzt wurden. Ihr Entwurf stammte vom Ausstattungsarchitekt Peter Hubert Desvignes, der die Möglichkeiten und formalen Bedingungen des Biegens wohl eher als Thonet selbst erfasst und zur Gestalt der Bugholzstühle geformt hat. Bei seinen Entwürfen vertraute Thonet der eigenen Lamellentechnik noch nicht, denn ihm waren oft genug Leimfugen aufgegangen. Also griff er – jedenfalls für die vergoldeten Exemplare der Desvignes-Entwürfe – auf eine Bauweise zurück, bei der er passend zu Sperrholzschalen verleimte Furniere aussägte, rund raspelte und mit Polimentgrundierung überzog.

Dass aus diesen Vorläufern dann die leichten Laufstühle für das Palais Schwarzenberg entstanden, zeigt an, wie Thonet die formalen Probleme durch Vereinfachung löste und die Bugholzgestalt der Sessel aufgriff und weiter entwickelte. Produktionstechnisch ist dem Entwurf vorzuhalten, dass das Rückenornament – sich einschleifend – in den Rückenbogen eingeleimt ist, was noch weit vom Bausatzdenken späterer Jahre entfernt bleibt. Funktional, also beim Sitzkomfort, hat der Nr. 1 eine besondere Unbequemlichkeit, weil der untere Bogen des Rückenornaments seitlich auf die kurzen Rippen des angelehnt Sitzenden drückt und das Gefühl von Atembeklemmung auslöst.

Derzeit habe ich keinen Nr. 1, wohl, weil ich deren Preise für zu hoch halte. Was ich nicht als gut beurteilen kann, will ich nicht nur um der magischen eins willen teuer einkaufen. Begnügt Euch mit dem schönen Bild des Fotografen Winter von 1862!

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